Lose Gedanken aus meiner täglichen Praxis
2019:
- Wenn man denkt, man hätte technische Probleme, hat man oft eigentlich ein rhythmisches Problem – denn Technik ist nichts anderes als funktionierende Koordination zwischen Gehirn und Finger, und die richtet sich an der Zeitachse aus. 🙂 Oft sind z.B. einfach die Noten auf einer leichten Taktzeit nicht ausgespielt. Das Ohr nimmt das Holprige wahr, und der mentale innere Scharfrichter macht sich selbst mangelnde Technik zum Vorwurf.
- Die Korrektur meines Atlas-Wirbels vor 2 Monaten bewirkte Wunder. Auf der Stelle konnte ich mit 3-4 besser trillern, und je mehr sich nun die ganze Wirbelsäule nach und nach anpasst, desto natürlicher fließt meine Technik.
- Entsäuerung und Basensubstitution bewirkte bei mir 2015 Wunder. Ich wage nun steil zu behaupten, dass die Geschmeidigkeit der Gelenke proportional zum PH-Wert ist.
- Wusstet ihr, dass Neurotransmitter aus “bedingt essentiellen” Aminosäuren hergestellt werden, die von der Leber nicht ausreichend produziert werden, wenn wir uns in lang anhaltender Belastung (Stress, Konzentration, Sport) befinden?
2016:
Viele Lehrer bieten an ihrem Instrument makelloses mechanisches Training (in Deutschland oft noch nicht mal das). Das ist jedoch keine Meisterschaft. Meisterschaft ist keine gute mechanische Ausbildung, sondern das Hinauswachsen darüber. Wenn eine Ebene “gemeistert” wurde, ist sie gleichzeitig transzendiert. Franz Liszt und Alexander Skrjabin (vielleicht auch Mozart und Bach) hatten dieses Genie, die technische Schwierigkeit der materiellen Ebene müheslos zu transzendieren, so daß das Schwere leicht wurde, das Komplizierte schlicht und das Anstrengende mühelos, bis zu dem Punkt, wo man einfach nur seine Hände auf die Tasten legt und alles ganz einfach von selbst zu passieren scheint. Das ist mehr als nur gute Beherrschung der Technik. Es gehört geniale Eingebung dazu, ein intuitives Verstehen des Wesens der Virtuosität, wie Materialität an sich überwunden wird. Kein hartes Training führt dahin, sondern eine intensive tägliche Praxis voller Eingebungen. Meisterschaft vereint Gegensätze: Totale Kontrolle mit absolutem Loslassen, in großen Zusammenhängen atmen und gleichzeitig absolut präsent im Moment zu sein, Aktiv und Passiv, emotionale Trunkenheit und Nüchternheit im Kopf, das Materielle und das Spirituelle, Körper und Seele, Subjektivität und Objektivität – bis zu dem Punkt, wo man das Gefühl hat, in einem Zustand nahe am absoluten Nichts-Tun alles zu tun.
(Am Rande: Schade, daß in unserer Kultur so wenig vermittel wird, daß auch Liebeskunst – sexuelle Vereinigung – in diesem Sinne eine “Kunst” ist, ein verantwortungsvoller Entwicklungsweg, der nach Meisterschaft schreit, statt denselben aufreizenden Mechanismus tausend Mal zu wiederholen und dabei noch nicht mal die erste Stufe zu erklimmen).
Viele Lehrer haben Angst vor Virtuosität, weil sie sie selber nicht gemeistert haben. Weil sich das Ego dies nicht eingesteht, behelfen sie sich damit, auf Virtuosität verächtlich herabzublicken und sie als “oberflächliche Show” zu degradieren. Ihre Schüler sperren sie in dem beschränkten System ihres limitierten Könnens ein, in dem es angeblich “um Musik” geht, um die vermeintlich echten Werte (oft verstecken sich solche Leute auch hinter dem Spezialisieren auf historische Aufführungspraxis), aber die wirkliche KUNST des Instrumentalspiels vermögen sie nicht zu vermitteln.
Meine Lehrer, die keine Angst vor Virtuosität hatten, haben Virtuosität nicht als technisches Handwerk, sondern als hohe “Kunst” im Sinne der Ausdrucks-Faszination vermittelt, und nebenbei haben sie durch diese Meisterschaft auch die wirkliche “Kunst” des Musikzierens vermitteln können, die Anschlagskultur, das Singen, die harmonische Magie der Polyphonie, den Zauber von Vorhalten, den Glauben an das Irrationale im Anschlag (die Kraft der Emotion), kurz: die Magie und den Zauber des Klavierspiels, basierend auf handfesten musiktheoretischen Fakten der Partitur, die Transzendenz des Instrumentalspiels in dem Sinne, daß Spirituelles durch den Klangs kanalisiert wird. Nicht nur die russische Mystikerin Anastasia, sondern auch meine liebe Kollegin im Geigenfach fordert durch den Titel ihres neues Unterrichtskonzepts die Entwicklung “Vom Lehrer zum Zauberer”.
02/2015: Der Wert des regelmäßigen Vorspieltrinings: Der Sprung von hoher Professionalität zu absoluter, unfehlbarer Sicherheit.
Was einem im Rampenlicht bewußt wird, was vorher beim Üben unter den Tisch fiel, sind kleine Unsicherheiten im Bewegungsablauf, sozusagen blinde Flecken auf der inneren Landkarte, die eine Wolke von vagem inneren Bild hinterläßt – die Diffusität von Nicht-ganz-genau-Wissen-wie.
Es sind kleine Unbewußtheiten im Bewegungsablauf, blinde Flecken auf der Landkarte des eigenen Körperbewußtseins. Bei einem Vorspiel werden die mitunter so klar bewußt, daß danach das Üben unglaublich produktiv wird. Dann kommt der nächste Auftritt, und die Lernkurve steigt weiter.
Nachdem ich vor 2 Jahren intensiv am 2. Finger gearbeitet habe, ist es jetzt der 3. Finger, den ich noch bewußter in Bewegungsabläufe integriere. Es geht wirklich um “Integrieren” in die Hand: genau zu spüren, wie ein Legato sich “abrollt” von einem Finger zum nächsten, wie das Gewicht verlagert wird, um melodische Linien zu gestalten, wie Spannung entlastet, frei gegeben wird.
Wenn in solchen Abläufen noch Unbewußtes existiert, was einem beim Gestalten noch nicht alle Mittel ausschöpfen lies, reagiert der Körper pauschal mit Spannung. Wenn nicht der spezifische Muskel weiß, daß er dran ist, machen sich vorsichtshalber alle Muskeln bereit – in einem Zustand allgemeiner Verunsicherung. (So simpel ist das, und meistens bleibt dieses Geheimnis ungeknackt.
Nachdem ich solch delikate, fruchtbare Details entdeckte, bin ich zu Bachs Französischen Suiten zurück gekehrt, weil die eine perfekte Grundlagenarbeit für den grundmusikalischen Einsatz der Hand bieten. Musikalisch sind sie so wunderschöne Perlen – absolute Geschenke.
Man spürt, daß das Werk für Kinder geschrieben ist. Ich meinte auch, eine spezielle Innigkeit zu spüren, die mich vermuten ließ, daß er es für ein Mädchen geschrieben hat, und richtig: in der neuen Bärenreiter-Ausgabe steht im Vorwort, daß die erste Skizze dieser Suiten im Notenbüchlein für Anna Magdalena zu finden war.
Ich freue mich auf meine erste CD mit diesen Meisterwerken, die nichtsdestotrotz vollendete Meisterschaft der Pianistik auf höchstem Niveau verlangen.
2012
Using the 5th finger is like for string players using the tip of the bow. For some moments it’s the perfect tool for the right sound, but it requires courage, total relaxation and trust in your sensitivity.
Die kurzen Noten in Chopins Mazurkas (16tel nach punktierter 8tel) brauchen Körper. Dort stützt sich jemand auf, der sich nach einem Sprung zurück auf den Boden abfedert. So kann man die Note auch elegant im Legato mit der nächsten verbinden.
Manchmal, wenn der 2. Finger in schnellen Passagen nicht deutlich genug spielen will, ist der Grund nicht unzureichend trainierte Muskel, sondern daß der Finger nicht entpannt genug hängt und nicht nahe genug an der Taste bereit gehalten wird. Der Tastsinn ist hier nicht genug ausgeprägt. Wir müssen alle unsere Finger zu jeder Zeit spüren, wie sie sich auf den Tastenkontakt freuen.
Was viele Studierende für ihre mangelnde Fingerfertigkeit halten, ist in Wirklichkeit mangelnde rhythmische Kontrolle. Die Finger haben keine Chance, wenn sie vom Kopf her nicht bewußt koordiniert sind. Zu dieser Eile und unsauberen Hast führt oft ein Minderwertigkeitskomplex “ich bin technisch nicht so gut wie andere.” Dann probiert man ständig ungeduldig aus, ob’s schon schnell geht, und die Finger sind überfordert, weil sie keine klare rhythmische Anweisung vom Gehirn erhalten, welcher Finger wann dran ist. Um das zu erlangen, braucht es viel Geduld, aber kein übermenschliches Talent.
2008
Warum spiele ich melodischen Linien bei Bach oft non-legato? Ein Hauptgrund ist die Polyphonie. In Fugen werden durch leichte Artikulation der kurzen Noten die langen übergebundenen Noten besser hörbar. Dadurch werden viele der wunderschönen Vorhalte erst hörbar. Das ist das Problem der Vorhalte: Man muß sie nicht nur hören, wenn die Note angeschlagen wird, sondern viel später, wenn sie (übergebunden) zur Dissonanz wird. Brahms hat als Klavierlehrer unglaublich darauf bestanden: “HIER muß die Note klingen”. Dazu müssen die übrigen Stimmen mithelfen. Ein unaufdringliches, nicht zu scharfes Staccato bewahrt die gesangliche Qualität und rettet den Satz vor einem undurchdringlichen Dickicht.
Ein weiterer Grund ist stilistisch und instrumentenspezifisch. Legato auf einem modernen Flügel läßt es oft wie Chopin klingen, das ist das Problem der Instrumente. Ich weiß nicht, was stilistisch “korrekt” ist; niemand weiß es wirklich. Aber das Lebendige, das Sprudelnde und Sprechende der Musik kommt besser heraus, wenn man auf unseren Flügeln viel artikuliert. Ich sage nicht, daß dies die optimale Lösung ist, aber es ist auf einem stilfremden Instrument der bessere Kompromiß als pures Legato. Staccato schließt übrigens ein gesangliches Gefühl nicht aus. Die klangliche Wärme unserer Instrumente zu benutzen finde ich durchaus legitim, das scheint für mich in der Musik schon mit angelegt zu sein (und es ist übrigens auf dem Cembalo mit einem weichen Anschlag auch möglich, diese Sinnlichkeit zu erzeugen).
In Los Angeles sah ich eine wunderbare Figaro-Inszenierung, wo sich die Sängerinnen spielerisch zur Musik bewegten: erotisch, das Lustvolle der Geschichte betonend, nicht aufgesetzt demonstrativ, wie so oft in modernen Inszenierungen, sondern natürlich, in barocken Kostümen, aber mit Lust an körperlicher Biegsamkeit, sinnlichen Reizen und Lebensfreude. In diesem Moment wurde mir eine Dimension von Mozarts Melodik bewußt. Das wurde mir zum Schlüssel zu Mozarts Klaviersonaten. In der quirligen und biegsamen Melodik der Allegros hatte ich nun dieses innere Bild der spielerisch-ironischen und lustvoll-sinnlichen Lebensfreude auf der Bühne vor Augen, und es paßte perfekt zur Musik.
Schubert, Impromptu As-dur op. 90 Nr. 4: 1.) Die Sechzehntelnoten sollten extrem leicht und kurz artikuliert werden, um das sinnlich-melancholische Klangbild des Sprühregens zu erzeugen.
2.) Probleme mit den Repetitionen werden eher im Kopf als in den Fingern gelöst. Wenn man sich die Gruppierungen denkt, wie sie notiert sind, neigt die Hand unwillkürlich dazu, sich nach einer 4er-Gruppe aus der Tastatur zu heben oder entpannend in sich zusammen zu sacken, und der nächste Finger kommt zu spät für die repetierte Note, oder die rhythmische Wachsamkeit versagt im entscheidenden Moment. Wenn man sich die Gruppierung auftaktig denkt (ein 16tel “Auftakt”: da-da…… da-da……), bleibt die Hand während der Repetition nah an der Taste, die Aufmerksamkeit bleibt wach während der repetierten Note, und die Passage gelingt technisch einwandfrei. Zumindest zum Üben sollte man “umgruppieren”.