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Lebenslauf eimal anders – die Abenteuergeschichte einer persönlichen Entdeckungsreise
Ich bin 1978 in Hofheim am Taunus geboren. Schon als Kind zogen mich Klaviere magisch an. Meine Seele hatte eine Affinität zu diesem Instrument und suchte nach intimem Gefühlskontakt mit seinem Klang, um Regionen des eigenen Innenlebens auszudrücken, für die es keine Worte gibt.
Ich wurde nie als Wunderkind gehypt, aber ich erinnere mich an zwei Aspekte meines Klavierlernens, die ich rückblickend als Wunderkindaspekte sehen könnte, obwohl sie mir damals völlig selbstverständlich erschienen: Bevor ich ein Klavier hatte, hatte ich ein Glockenspiel (Xylophon), auf dem ich bald begann, experimentell Lieder in verschiedenen Tonarten zu spielen. Ich beschwerte mich bei meinen Eltern: „Dazu fehlen ja Töne“, und zu Weihnachten bekam ich ein chromatisches Glockenspiel, auf dem ich nun Lieder transponieren konnte. Die zweite Erinnerung: Ich liebte mit 8 Jahren eine Schallplatte mit einem Oboen- und einem Fagottkonzert von Vivaldi. Ich sagte mir „mal schauen, ob ich rausfinde, in welchen Tonarten die sind“. Ich schloss die Augen und befand beim Oboenkonzert: „Es klingt nach a-moll“ und beim Fagottkonzert: „Klingt nach e-moll“. Ich schaute auf die Hülle der Schallplatte und merkte, dass ich richtig lag. Die nächsten Jahre meiner Entdeckung des Klaviers waren davon geprägt, dass ich die Vivaldi-Konzerte nach dem Gehör auf dem Klavier nachspielte – zunächst nur Oberstimme und Bass, später hörte ich immer mehr Mittelstimmen korrekt heraus.
Ich hatte das Glück, eine Klavierlehrerin an der Musikschule Hofheim zu haben, die mir alle Freiheiten ließ, das Klavier auf diese ungewöhnliche, mir eigene Art zu entdecken. Wenn ich im Musikunterricht in der Schule etwas vorspielte, war der Lehrer irritiert, wenn ich wie selbstverständlich sagte: „ich spiele von Vivaldi das Konzert für Oboe und Orchester“.
In der Pubertät verliebte ich mich in die Klaviermusik der Romantik, die ich mir auch zunächst nach dem Gehör erschloss, bevor ich die Noten kaufte und dann auch das Blattspielen trainierte. Diese Musik berührte sanft meine aufkeimende Sinnlichkeit und die Romantik eines Teenagerherzens. Im Alter von 15 spielte ich Balladen von Chopin und Rhapsodien von Liszt, ohne je eine fundierte technische Ausbildung gehabt zu haben. Meine Technik war absoluter Freistil. Das Ergebnis: Ich konnte die Musik nicht so spielen, wie ich sie innerlich hörte, und die hilflosen Versuche, es hinzukriegen, verkrampften mich unendlich, so dass mein Spiel ein großer Krampf war.
Abhilfe kam, als ich in diesem Alter mit Privatstunden bei Karl-Heinz Kämmerling in Hannover begann. Er baute ein stabiles technisches Fundament mit mir auf, und seine Art, über Musik zu reden, flöste in uns Kindern ein heiliges Gefühl einer größeren Sinnhaftigkeit ein, dass uns in diesem Alter unendlich guttat. Viele von uns begabten Klavierspieler*innen waren in der Schule Außenseiter, und die einwöchigen Klavierkurse bei Kämmerling, die über das Jahr verteilt stattfanden, waren wie freudige Zusammentreffen einer gleichgesinnten Familie. Zu Kämmerling hingebracht hatte mich übrigens auch eine kindlich-naive Kette von Überlegungen: Ich war Fan von Arturo-Benedetti-Michelangelis Videoeinspielung von Debussys Préludes Band I geworden. Er beflügelte meine Klangsuche nach außerordentlichen Klängen. Im Ohr klang mir auch die Aussage meiner Klavierlehrerin, Michelangeli hätte so einen „besonderen Anschlag“. Dieser Ausdruck arbeitete in mir. Beim Wettbewerb Jugend Musiziert hörte ich dann den Kämmerling-Schüler Konrad Maria Engel, über den meine Mutter dann sagte, er hätte einen besonderen Anschlag. Meine Lehrerin sagte: „Ach der ist doch beim Kämmerling“. Als ich später in der Neuen Musikzeitung eine Ausschreibung eines Kurses von Kämmerling sah, kombinierte ich deshalb „da muss ich hin, da lerne ich einen besonderen Anschlag, also lerne ich da, Debussy so zu spielen wie Arturo Benedetti Michelangeli“. Kämmerling war entsetzt von meiner Freistil-Klaviertechnik, die weder Hand noch Fuß hatte, aber er war „fasziniert“, wie schnell ich seine Anregungen umsetzte, deshalb erklärte er sich bereit, mich als Privatschüler anzunehmen.
Als ich angeregt durch Kämmerling im Alter von 17 verstand, dass ich ein einzelnes Klavierstück im Laufe meines Lebens immer wieder anders spielen würde, erblickte ich einen Sinn des Lebens in dieser ständigen Weiterentwicklung. Vor allem faszinierte mich die Parallelität in der Entwicklung meines Klavierspiels und meiner persönlichen Entwicklung als Mensch. Trotzdem bewegte mich noch die Frage, ob ich Klavier – eine brotlose Kunst – studieren solle, oder lieber Informatik oder Chemie, wofür ich mich ebenfalls autodidaktisch begeisterte. Mit PC-Programmierung oder als Chemiker wäre ich finanziell gut abgesichert. Aber ich fühlte, dass es mich unglücklich und unerfüllt lassen würde, das Klavier auf den zweiten Platz im Leben zu degradieren. Ich wusste: Wenn ich nicht alles dafür tue, mein Klavierspiel auf dem mir bestmöglichen Niveau zu halten, würde ich mich fühlen, als würde ich mein Leben verfehlen.
In der Zeit dieser Entscheidung brach für mich eine Welt zusammen, als Kämmerling mir sagte, er nehme keine Studenten mehr, weil er sich zurückziehen wolle. Rückblickend aber bin ich froh, dass ich bei meinem Studium in Lübeck bei Konstanze Eickhorst und Konrad Elser noch mal neue Welten auftaten, die mein Klavierspiel ganz anders bereicherten. In Lübeck fing ein neues Leben für mich an. Pianistisch hatte ich noch nicht das größte Zutrauen zu mir, und es tat mir gut, dass Frau Eickhorsts technischer Fokus auf Handgelenksbewegungen mich weiter entkrampfte und Elsers Anschlagsstrategien meine Klangpalette auf kreative Art und Weise bereicherte. Beim Aufbaustudium in Los Angeles bei Vitaly Margulis lernte ich wiederum eine ganz andere Ästhetik kennen, wie man das Klavier „anfasst“. Margulis war da schon so alt und weise, dass seine Erwartungen an Leistungen äußerst entspannt waren. Ihm ging es nur noch um das Wesentliche in der Musik, und darin bestärkte er mich und mein Selbstwertgefühl ungemein. Er brachte mich zu mir selber und zeigte mir eine sehr sinnlich betonte Klaviertechnik der anschmiegsamen Tastenberührungen, die einfach nur das Gefühl fließen lässt.
Es sollte bis zu meinem 35. Lebensjahr dauern, bis ich alle technischen Anregungen meiner so verschiedenen Lehrer*innen zu einer Kombination vereinte, die mir das Gefühl gaben, nun eine funktionierende Technik zu haben, mit der ich musikalisch alles machen kann, was ich will. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass meine Technik so verlässlich ist, dass ich sie vergessen kann und einfach spielen kann.
Der Spagat zwischen künstlerischer Berufung und Geldverdienen blieb zunächst die zentrale Herausforderung in meinem Leben, aber immer wieder, wenn ich mich in Nebenjobs verausgabte, brach das Bedürfnis, Klavier zu spielen, mit solcher Kraft auf meinem Inneren hervor, dass ich mehr und mehr fühlte, keine Kompromisse machen zu können. Diese Entscheidung und Grundhaltung hat mich bisher durch das Leben getragen, so dass sich immer wieder Lösungen zeigten und es funktionierte, ohne dass ich so recht verstand wie und warum. Aber heute kann ich stolz und im Einklang mit mir sagen: Ich bereue nichts. Ich bin mir und meinem Talent treu geblieben.
“Klassische” Pianisten-Biografie
Daniel Fritzen
Der Lübecker Pianist Daniel Fritzen spielt seit dem vierten Lebensjahr Klavier und lernte in seiner Musikschulzeit in Hofheim das Instrument, indem er Orchestermusik nach dem Gehör auf dem Klavier spielte und Klaviermusik spielerisch vom Blatt spielte, bis er als Privatschüler von Prof. Karl-Heinz Kämmerling das professionelle Üben erlernte. Er studierte in Lübeck und Los Angeles Klavier (Konzertexamen mit musikwissenschaftlicher Promotion) bei Konstanze Eickhorst, Konrad Elser und Vitaly Margulis. Seine künstlerische Suche, in der er sich unterschiedlichsten Traditionen der Klavierkunst aussetzte, zielte auf eine Vielseitigkeit in der Tongebung, die sein Klavierspiel heute auszeichnet und von der Presse als “Herausforderung für das Instrument” bezeichnet wurde. Das begeisterte Medienecho benennt vor allem seinen Reichtum an Klangfarben und den seelischen Tiefgang, der die Zuhörenden tief in die Erlebniswelt eines Komponisten eintauchen lässt, wofür seine Moderationen hilfreiche Orientierungspunkte setzen. Während seines Studiums erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien und trat unter anderem als Solist bei Festivals in Schwetzingen, Luzern und Los Angeles auf. Er gewann Publikumspreise, sowie einen Sonderpreis beim Internationalen Johannes Brahms Wettbewerb, einer Konzerteinladung in die USA. In Lübeck hat der Pianist eine eigene Konzertreihe in Form einer monatlichen Sonntagsmatinée etabliert.